Die letzten Wochen hat mich Eschatologie, die „Lehre der letzten Dinge“ – also die Endzeit – erstmals sehr beschäftigt. Ich war nie bereit, mich einem der definierten Endzeitsysteme anzuschließen. Ich wusste nicht, ob ich mich auf dieser Erde noch als Dispensationalist, Postmillenialist oder Amillenialist bezeichnen werde. Und nun, wo ich dieses Thema endlich angehe, sieht es Tag für Tag so aus, dass meine Zuversicht weiter sinkt.
Kompliziert, komplizierter, Endzeitlehre
Hier sind sich fast alle einig: Es gibt kein großes Thema in der Bibel, das ein tiefgründigeres Studium der gesamten Schrift erfordert als die Endzeit. Offenbarung ist das schwierigste aller Bücher. Mehr als die Hälfte der Verse enthält direkte Parallelen zum Alten Testament. Die großen Reformaten Luther, Zwingli und Calvin mussten zugeben, dass sie sich mit dessen Studium überfordert sahen. Hieronymus behauptete, das Buch enthalte „genauso viele Worte wie Mysterien“, und B. B. Warfield sagte: „Es wurde schon immer am verschiedensten verstanden, am willkürlichsten ausgelegt und exegetisch am meisten gefoltert.“
Selbst die überzeugtesten Vertreter jeder Endzeitlehre werden durch seine oft ambivalente Ausdrucksweise und nicht immer eindeutig erschließbare Struktur gedemütigt, und nicht wenige der begabtesten Ausleger der apokalyptischen Literatur (wie Daniel, Offenbarung oder die Ölbergrede Jesu) haben nach vielen Jahren des Studiums zeitweise ihre Meinung geändert. Einige der besten Ausleger der Offenbarung, die akribisch versuchen, die jüdische apokalyptische Sprache des 1. Jahrhunderts zu verstehen, nennen sich erst Amillenialist oder historischer Prämillenialist und bezeichnen sich dann als „Optimistischer Amillenialist“ (Dr. Joel Beeke), „Neue-Schöpfung-Amillenialist“ (Thomas R. Schreiner) oder weigern sich gänzlich, von solch stark geprägten Begriffen auszugehen (D.A. Carson).
Manche nennen sich auch Panmillenialist: „It will all pan out in the end.“ (etwa: „Am Ende wird sich schon alles fügen.“)
Keine triviale Entscheidung
Meine größte Schwierigkeit damit, mich für ein System zu „entscheiden“ und mich fortan Dispensationalist oder Postmillenialist zu nennen, ist die Tatsache, dass ich mehrere Annahmen machen muss, die individuell bereits intensives Studium erfordern, das sich nicht in ein oder zwei Wochen, Monaten oder gar Jahren ausschöpfen lässt. Es betrifft große Fragen wie das Verständnis von Prophetien (welche wörtlich, welche symbolisch?), inwieweit die Kirche und Israel als zwei verschiedene Völker verstanden werden müssen, wenn Paulus in Epheser von einem „neuen Menschen“ spricht, zu dem Juden und Heiden zusammengefügt werden, die gemeinsam „Abrahams Same“ sind; und wie das mit Gottes Bund mit Abraham zu verstehen ist, wenn die Bibel von einem „himmlischen Zion“ spricht und durch Hosea offenbart, dass er „Nicht-mein-Volk“ sein Volk nennen wird; und ist dieser Bund wirklich unkonditionell?
Ich kenne genug Geschwister, die ich respektiere und die verschiedene sehr im Widerspruch stehende Endzeitlehren für eindeutig wahr halten. Ich sehe mich somit gezwungen, in diesem Sinne Agnostiker zu bleiben. Es gibt zwar mehr Punkte, die mich am Dispensationalismus stören als an den anderen Systemen, aber auch letztere machen mehrere Annahmen, deren teilweiser Ausfall den Zerfall des gesamten Systems bedeuten würde. Der (Teil-)Präterismus zerfällt bereits vollständig, wenn Offenbarung nicht vor 70 n. Chr. geschrieben wurde.
Wenn mein Glaube nun von so vielen voneinander abhängigen Puzzleteilen abhängt, darf ich nicht annehmen, dass bei zukünftig neuen Erkenntnissen meine Bereitschaft zur Neuausrichtung jemals größer sein wird als die entstehende kognitive Dissonanz, die mich zur Sturheit führt. Wie viel größer ist die Sorge für solche, die seit Jahrzehnten eine feste Lehre vertreten, predigen und bereits viele auf ihre Seite gezogen haben?
Ein nüchternes Fazit
Nach nur wenigen Wochen des Vergleichens der verschiedenen Endzeitlehren ist mir bewusst geworden, warum sich so viele begnadete Bibelausleger als vorsichtig amillenialistisch oder premillenialistisch bezeichnen. Dennoch gibt es äußerst überzeugte Vertreter jeweiliger Endzeitlehren wie John MacArthur, der behauptet, er habe die „beste Eschatologie“ von allen – überhaupt sehe ich, dass sowohl Dispensationalisten als auch Postmillenialisten tendenziell sehr überzeugt von dem wirken, was sie glauben. Vielleicht, weil beide Systeme das praktische Leben so stark beeinflussen: Der optimistische Postmillenialist meint, der Missionsbefehl stehe im prophetischen Zusammenhang damit, die Welt werde bis zur Wiederkunft Jesu weitgehend christianisiert werden. Der pessimistische Dispensationalist wartet sehnlichst auf Jesu bevorstehende Entrückung der Heiligen, weil der moralische Abfall in der Welt zunimmt und wir nun in den allerletzten Tagen leben.
Es gab auch für mich einige Momente in diesen letzten Wochen, an denen ich fast überzeugt war, der Teil-Präterismus müsse absolut stimmen. Wer in dieser Zeit mit mir über dieses Thema gesprochen hat (am meisten vergeben muss mir wohl meine Frau), wird dies gespürt haben. Doch je tiefer man reingeht, desto verwurzelter wird das Ganze, und man stellt fest – es geht hier um weitaus wichtigere Themen: Die Beziehung zwischen Gottes neuem und altem Bund, Israel und die Gemeinde, das Königreich Jesu und vieles mehr. Das demütigt mich, und bis ich hier nicht tiefgreifendere Erkenntnisse erlangt habe, will ich es nicht wagen, mir ein Urteil zu bilden und mich einem System anzuschließen.
Mein Appell an dich, lieber Leser, ist an dieser Stelle nur eines: Wenn du von der Endzeitlehre, an der du festhältst, völlig überzeugt bist, dann hoffe ich, dass du es biblisch bist. Und wenn du völlig und biblisch überzeugt bist – und auch noch recht hast – dann danke ich dir, wenn du für mich betest, dass Gott mich zur rechten Erkenntnis der letzten Dinge führt.
Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist.
– 1. Pet 3,15b
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