Freude am Wort.

Der radikale Ruf zur Gastfreundschaft

Einer der Gründe, warum ich Griechisch lernen möchte, liegt im Wortschatz der Sprache. Manche Wörter finden in der eigenen Sprache keine würdige Übersetzung. Eines dieser Wörter, die ich entdecken durfte, ist φιλοξενία (philoxenía).

Übersetzt wird dieses Wort als gastfreundlich (Schlachter) oder gastfrei (Elberfelder & EsraBibel). Es besteht aus philo (Liebe oder Freund) und xenos (Fremder). Wenn man es wörtlich übersetzen möchte, heißt es etwa fremdenfreundlich. Der Eleganz halber werde ich im weiteren Verlauf dieses Beitrags jedoch auf gastfreundlich setzen.

Wie definiert die Bibel Gastfreundschaft?

Fünf mal finden wir dieses Wort im Neuen Testament – dreimal als Adjektiv und zweimal als Nomen:

[Röm 12,13] an den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil; nach φιλοξενίαν trachtet.

[1. Tim 3,2] Der Aufseher nun muss untadelig sein, der Mann einer Frau, nüchtern, besonnen, bescheiden, φιλόξενον, lehrfähig;

[Tit 1,8] sondern φιλόξενον, das Gute liebend, besonnen, gerecht, fromm, enthaltsam,

[Heb 13,2] Die φιλοξενίας vergesst nicht, denn durch diese haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

[1. Pet 4,9] Seid φιλόξενοι gegeneinander ohne Murren.

Drei klare Prinzipien werden aus diesen Versen ersichtlich:

  1. Jeder Christ soll Geschwistern gegenüber ohne Murren gastfreundlich sein.
  2. Wir sollen nach Gastfreundschaft trachten.
  3. Gastfreundschaft ist eine hervorgehobene Qualifikation für Älteste.
  4. Gastfreundschaft ist in erster Linie ein Gebot, keine individuelle Gnadengabe.

Schön und gut, aber:
Ab wann gelte ich als gastfreundlich? Und wem gegenüber soll ich gastfreundlich sein?

Diesen Fragen möchte ich auf den Grund gehen.

Wer ist ein „Gast“?

Wenn das Wort im Griechischen wörtlich meint, wir sollen fremdenliebend sein, habe ich Gastfreundschaft bisher schlichtweg missverstanden.

Es stellt sich zuerst die Frage, wieso uns der Heilige Geist ermahnt, ohne Murren gastfreundlich zu sein. Warum sollte ich murren, wenn uns meine lieben Geschwister zum Mittagessen besuchen und ich sowieso gerne Zeit mit ihnen verbringe? Soll ich den anschließenden Kaffee ohne Murren zubereiten?

Ich denke, dass uns der biblische Befund ein klares Bild gibt: Die primären Empfänger unserer Gastfreundschaft sollen zwar unsere Geschwister sein („seid gastfreundlich gegeneinander“, „an den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil“), doch das Beispiel aus Hebräer 13,2 (… „durch diese haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“) geht auf Abraham und Lot in 1. Mose 18 und 19 zurück. Hier handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um fremde Männer, die mit einer Form der Gastfreundschaft begegnet wurden, die uns heute hierzulande völlig fremd ist:

Da eilte Abraham ins Zelt zu Sara und sprach: Nimm schnell drei Maß Feinmehl, knete und mache Kuchen! Und Abraham lief zu den Rindern und nahm ein Kalb, zart und gut, und gab es dem Knaben; und der beeilte sich, es zuzubereiten. Und er holte dicke und süße Milch und das Kalb, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor; und er stand vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen.

– 1. Mose 18,6-8
Abraham and the Three Angels | Bartolomé Esteban Murillo, ca. 1670-1674

Lot zeigt ähnliche Gastfreundschaft:

und er sprach: Ach siehe, meine Herren! Kehrt doch ein in das Haus eures Knechtes und übernachtet und wascht euch die Füße; und ihr macht euch früh auf und geht eures Weges. Aber sie sprachen: Nein, sondern wir wollen auf dem Platz übernachten. Und er drang sehr in sie; und sie kehrten bei ihm ein und kamen in sein Haus. Und er machte ihnen ein Mahl, und er backte ungesäuerte Kuchen, und sie aßen.

– 1. Mose 19,2-3

Als sich die grausame Schar von Männern vor Lots Haus versammelt, um seine Gäste zu vergewaltigen, macht dieser ein Angebot, das den modernen Leser erschüttert:

Sieh doch, ich habe zwei Töchter, die keinen Mann erkannt haben; lasst mich sie doch zu euch herausbringen, und tut ihnen, wie es gut ist in euren Augen. Nur diesen Männern tut nichts, da sie nun einmal unter den Schatten meines Daches gekommen sind.

– 1. Mose 19,9

Das mag uns extrem erscheinen, wie so vieles in biblischen Ereignissen. Aber wir sehen, wie heilig die Gastfreundschaft unter Hebräern war. Wie sah es bei den Griechen im 1. Jahrhundert aus?

Xenia – Gastfreundschaft in der Antike

Um einen tieferen Einblick in die Bedeutung griechischer Begriffe zu bekommen, kann es hilfreich sein, den kulturellen Kontext zu verstehen, den die ursprünglichen Empfänger der neutestamentlichen Briefe hatten.

Im antiken Griechenland, und später Rom, herrschte das Prinzip der theoxenia. Ein Grieche lebte in der ständigen Erwartung, er könnte einen Gott (theos) empfangen, wenn er einen Fremden (xenos) aufnimmt. Ihr berühmtester Gott trug u. a. den Titel Zeus Xenios, da ihm die Rolle des Beschützers von Fremden und Reisenden zuteil wurde. Zugleich war Zeus ein Rächer derer, die ihre Gäste nicht ordnungsgemäß behandelten.

In Ovids Werk Metamorphosen (1-8 n. Chr.) suchen Jupiter (Zeus) und Merkur (Hermes) in Menschengestalt erfolglos eine Herberge, bis das ärmliche Ehepaar Philemon und Baucis, ihre Identitäten nicht kennend, sie aufnimmt und mit allem bewirtet, was sie haben. Zur Belohnung wird ihre bescheidene Hütte in einen goldenen Tempel verwandelt, bevor die restliche Stadt aufgrund ihrer mangelnden Gastfreundschaft geflutet wird.

Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis | Peter Paul Rubens, ca. 1620-1625

Der Architekt Vitruvius schrieb etwa 25 v. Chr. in seinem Werk De Architectura:

„…Als die Griechen luxuriöser wurden und ihre Verhältnisse opulenter, begannen sie, Speisesäle, Kammern und Vorratsräume für ihre Gäste aus dem Ausland bereitzustellen, und am ersten Tag luden sie sie zum Abendessen ein, wobei sie ihnen am nächsten Hühner, Eier, Gemüse, Früchte und andere ländliche Erzeugnisse schickten…“.

Ein Vorbild in der Praxis, kein Vorbild in der Intention

Die alten Griechen, die zu Zeiten Jesu und Paulus lebten, waren also äußerst gastfreundliche Menschen. Sie nahmen Gäste auf, als wären sie Götter – Hebräer nahmen sie auf, als wären sie Engel (nach dem Vorbild Abrahams und Lots).

Schön und gut… doch warum müssen uns Paulus und Petrus dann noch ermahnen, gastfreundlich zu sein?

Während der kultivierte Grieche als Gastgeber dazu angehalten war, Fremde aufzunehmen, für Speis und Trank zu sorgen, ein Bad und einen Schlafplatz bereitzustellen und beim Abschied Geschenke mitzugeben (und all das, ohne erst den Namen oder die Herkunft zu erfragen), so war auch dem Gast selbst geboten, respektvoll zu sein, seine Bleibe nicht in die Länge zu ziehen, keine Last zu sein und, falls keine Geschenke, zumindest Dankbarkeit und gute Geschichten mitzubringen.

Ganz entscheidend aber ist der Aspekt der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit, die in Xenia steckt. Was hattest du als Grieche schon für eine Wahl, wenn du nicht dem Zorn des Zeus verfallen oder als Atheist (im griechischen Sinne) einen schlechten Stand haben wolltest? Oder als Jude, wenn du deinen Gott nicht verleugnen wolltest?

Es muss also einen Grund geben, dass uns sowohl Paulus als auch Petrus zur Gastfreundschaft aufrufen.

In den folgenden Abschnitten möchte ich versuchen, die Frage zu beantworten, wie wir diesem Gebot als Christen im 21. Jahrhundert folgen können.

Christus ist unser Vorbild

Als Christen ermahnt uns Petrus, ohne Murren Geschwister und Fremde in unsere Häuser aufzunehmen. Nur einen Vers vorher schreibt er:

Vor allem habt untereinander eine inbrünstige Liebe, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden.

– 1. Petrus 4,8

Und diese Liebe finden wir allein in Christus. Er ist unser Vorbild. Ohne diese werden wir dieses Gebot der Gastfreundschaft nie mit dem Frieden erfüllen können, den Gott uns durch Seine Liebe geschenkt hat.

Jesus selbst erniedrigte sich unter die Engel, damit er uns diene, die wir einst Fremde waren. Und wenn wir auch nicht unerwartet Christus wörtlich empfangen mögen werden, wie die Jünger es in Emmaus taten (die weitaus glorreichere und nicht rein mythologische Gott-Mensch-Begegnung in der Gastfreundschaft), so können wir den Herrn doch ganz praktisch gastfreundlich empfangen:

Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es einem der geringsten dieser meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan.

– Matthäus 25,40b
Das Abendmahl in Emmaus | Rembrandt van Rijn, 1629

Praktische Anwendung: Eine Ermutigung zum Dienst

Ich glaube, wir grenzen Dienst manchmal zu sehr auf den unmittelbaren Kontext des Sonntagsgottesdienstes ein: Lobpreisdienst, Kindergottesdienst, Putzdienst, Kaffeedienst… in der Gastfreundschaft finden wir einen Dienst, den wir uneingeschränkt jeden Tag in der Woche ausüben können – sowohl aktiv als auch passiv – und der explizit biblisch geboten wird.

Um die Frage nun also zu beantworten, wie wir dieses Gebot im 21. Jahrhundert praktisch erfüllen können, hier ganz konkrete Ansätze:

  • Mach aus dem allzuoft nicht ernstzunehmenden „Lass uns mal wieder treffen“ ein „Wann hast du diese Woche Zeit, zum Abendessen zu kommen?“ Paulus sagt: Trachte nach Gastfreundschaft! Das Gebot ist aktiv. Das Verb steht normalerweise für verfolgen oder nachjagen.
  • Sorge immer dafür, dass du spontan Besuch empfangen kannst.
    -> Wenn du Ehefrau bist, beachte das in Titus 2,5 implizierte Gebot, Hausfrau (EsraBibel), mit häuslichen Arbeiten beschäftigt (CSV) zu sein.
  • Hebe die beste Speise (und den besten Kaffee!) für deine Gäste auf.
  • Bestelle keine Pizza, sondern koche!
  • Frage dich bei der Wahl oder Einrichtung deines Hauses oder deiner Wohnung: Wie kann ich hier Gästen dienen? Selbst die Griechen haben das getan – wieso dann nicht erst recht wir?
  • Priorisiere dein Leben so, dass du allzeit bereit bist, alles hinzuschmeißen, um Gäste zu empfangen. Nimm besonders deine Geschwister so auf, als wäre es Jesus selbst sein, der an deiner Tür klingelt.

Ganz persönlich haben mich die Erkenntnisse dieser Wortstudie dazu gebracht, dass ich gemeinsam mit Xhesika entschieden habe, dass wir unsere Finanzen in diese Richtung lenken wollen. Vor einiger Zeit beschäftigte ich mit mit Aktien und ETFs; es ist lukrativ, sein ganzes Geld zu investieren und in allen Lebensbereichen zu sparen, um sich damit ein Vermögen aufzubauen. Als mein Vater mich dann fragte, ob ich wolle, dass unser kleiner Joah bis ins Erwachsenenalter in der günstigstmöglichen Wohnung aufwächst, wurde mir klar: Ich priorisiere nicht biblisch.

So ist auch meine Ermutigung an dich, lieber Leser, dir diese Frage zu stellen: Priorisierst du deine Zeit und deine Ressourcen biblisch? Mein Gebet ist es, dass dieser Beitrag die Bibelworte zur Gastfreundschaft in dir vertieft und dich genauso berührt, wie sie mich berührt haben.

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